Variationen des N. medianus (Medianusgabel)
Anatomischer Hintergrund zur Medianusgabel
Aus dem Fasciculus lateralis geht die Radix lateralis, aus dem Fasciculus medialis die Radix medialis des Nervus medianus hervor. Diese beiden Radices vereinigen sich typischerweise ventral oder lateral der Arteria axillaris zum Nervus medianus.
In der Regel hat sich dieser Zusammenschluss auf Höhe der Blockade – also etwa auf der Höhe der Anlotung des lateralen Randes des Musculus pectoralis major, in Orientierung an der sonographischen Landmarke der Sehne des Musculus latissimus dorsi – bereits vollzogen.
In der folgenden Abbildung ist jedoch ein weiter distal gelegener Zusammenschluss der Radices zum Nervus medianus bei einem Körperspender dargestellt (Präparat: G. Feigl). Das Präparat veranschaulicht eindrucksvoll die zugrunde liegende anatomische Variante, bei der die Medianusgabel bis in die axilläre Ebene hinein erhalten bleibt.
Pfiffig an der Präparation ist, dass Georg einen Teil des Musculus pectoralis belassen hat.
Der laterale Rand des Muskels dient so als äußere Bezugsgrenze für die korrekte Sondenanlotung – ein klug gewählter Orientierungspunkt für die sonographische Sondenanlotung.
Darüber hinaus wird durch dieses Vorgehen anatomisch eindrucksvoll sichtbar, dass es sich beim Körperspender um eine weiter distal gelegene Vereinigung der Radices zum Nervus medianus handelt – also eine Variante, bei der sich die klassische Medianusgabel erst auf axillärer Höhe oder noch tiefer bildet.
Wie würde es sonografisch aussehen?
Sonographisch kann die Situation irritierend wirken:
Neben den „klassischen vier“ Nerven – Nervus radialis, Nervus medianus, Nervus ulnaris und Nervus musculocutaneus – erscheint plötzlich ein fünfter Nervenquerschnitt, der nicht ins gewohnte Bild passt.
Zählt man zudem den häufig sichtbaren Nervus cutaneus antebrachii medialis hinzu, ergibt sich auf dem Bild sogar die Darstellung von sechs peripheren Nervenstrukturen.
Diese Konstellation kann insbesondere dann verwirren, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Radices des Nervus medianus (lateralis und medialis) in der Axilla noch nicht vereinigt sind und getrennt neben der Arterie verlaufen. Was auf den ersten Blick wie ein zusätzlicher Nerv aussieht, ist in Wirklichkeit Ausdruck einer persistierenden Medianusgabel.
Variante Verläufe des N. musculocutaneus
Anatomischer Hintergrund
Der Nervus musculocutaneus verlässt den Fasciculus lateralis in der Regel bereits proximal und durchbohrt im weiteren Verlauf den Musculus coracobrachialis.
Auf Höhe der axillären Blockadeebene ist er daher in der Regel bereits gut identifizierbar – so auch im Fall des Körperspenders mit der besonderen Ausprägung der Medianusgabel (vgl. nächste Abbildung).
Hinweis (Link für mehr)
Das ist ein ergänzender Blogpost zum Beitrag über die Plexus brachialis Blockade auf axillärer Ebene.
Sonogramm mit beiden Variationen auf einmal
"Späte" Medianusgabel und "spätes" Verlassen des N. musculocutaneus
Betrachte das folgende Sonogramm nach einer Einzelblockade der peripheren Nerven auf axillärer Ebene:
Auf den ersten Blick erscheint die Darstellung eindeutig – auch weniger Geübte würden das Bild vermutlich als „klassisch“ interpretieren: die typischen vier Nerven scheinen erfolgreich blockiert.
Doch der Schein trügt:
- Der Nervus musculocutaneus hat den Fasciculus lateralis noch nicht verlassen, und der
- Nervus medianus ist an dieser Stelle noch nicht gebildet.
Du siehst hier also das korrespondierende Sonogramm eines Patienten, bei dem – wie bei einem Körperspender – die Radix lateralis und Radix medialis des Nervus medianus bis in die axilläre Ebene hinein getrennt verlaufen.
Im Unterschied zum Körperspender aber hat der N. musculocutaneus in diesem Fall den Fasciculus lateralis ebenfalls noch nicht verlassen und erscheint somit fälschlicherweise als großer Medianus – wie ein anatomischer „Trick“, der bei ungenauer Interpretation zu einer Fehlidentifikation führen kann.
Welchen Effekt hätte das Wissen auf die Blockade gehabt?
Auch ohne Kenntnis der zugrunde liegenden Variante, ohne Wissen über die Entstehung der Medianusgabel, wäre in diesem Fall wohl eine vollständige Blockade gelungen. Aber jetzt kennst du die Anatomie dahinter.
Und beim nächsten Mal? Erkennst du die Variante – bevor sie dich überrascht. 😉
Variationen im Verlauf des N. medianus (Anteile des N. medianus)
Im folgenden Sonogramm erkennst du eine bemerkenswerte Variante:
Ein Anteil des Nervus medianus – vermutlich aus der Radix lateralis hervorgehend – verlässt den typischen Verlauf und tritt in den Musculus coracobrachialis ein, wo er scheinbar versucht, sich dem Nervus musculocutaneus anzulagern.
Der andere Anteil verläuft regulär mit der Arteria axillaris weiter.
Anteile des Nervus medianus bilden somit eine Art Schleife: Sie verlassen den üblichen Verlauf vorübergehend, um sich weiter distal wieder auf die bekannte Bahn zu begeben.
Es wirkt, als hätten diese Nervenfasern für einen Moment vergessen, dass ihr Ziel eigentlich der Unterarm ist – eine anatomische Nebenstrecke, jedoch mit Konsequenz für die Blockade: Alle Anteile des Plexus müssen erkannt und blockiert werden — deswegen Ultraschall.
Anmerkung zur Qualität des Sonogrammes: Und ja, mir ist die leicht körnige Bildqualität bewusst – die Maschine hat inzwischen elf Jahre auf dem Buckel, läuft aber immer noch wie ein Rennpferd. Den komprimierten Export mit „gigantischen“ 200 kB konnte ich leider nicht weiter verbessern. Aber: Die Blockade gelingt, und anatomische Varianten lassen sich trotzdem zuverlässig erkennen.
Wie erkennst du die Variationen?
Radix lateralis et medialis, Nn. medianus et musculocutaneus
Natürlich sonografisch durch Verfolgen (Tracing) der Nerven (Echomuster). Dabei sind Gleitmanöver nach distal und proximal in die Axilla erforderlich. Die Bezeichnung der Nerven erfolgt im Anschluss der Untersuchung. Immer. Punkt.
Referenzen und Links
Lanz T. von, Wachsmuth W.: Praktische Anatomie, Ein Lehr- und Hilfsbuch der anatomischen Grundlagen ärztlichen Handelns. Erster Band, dritter Teil: Arm (Zweite Auflage). Springer-Verlag, 1959
Kommentar: Referenzwerk. Ich werde es in meiner Lebensspanne nur punktuell wiedergeben können, weil so viel Wissen darin steckt. Nachteile: ältere Nomenklatur und keine Ultraschallbilder 😉 – aber dafür gibt es ja Radiomegahertz.
Encarnacion, M.; Nurmukhametov, R.; Barrientos, R.E.; Melchenko, D.; Goncharov, E.; Bernard, E.; Huerta, J.M.; Uhl, J.F.; Efe, I.E.; Montemurro, N.; Ramirez, I. Anatomical Variations of the Median Nerve: A Cadaveric Study. Neurol Int 2022, 14, 664–672. doi:10.3390/neurolint14030054
Christophe, J.-L.; Berthier, F.; Boillot, A.; Tatu, L.; Viennet, A.; Boichut, N.; Samain, E. Assessment of topographic brachial plexus nerves variations at the axilla using ultrasonography. Br J Anaesth 2009, 103, 606–612. doi:10.1093/bja/aep207
Kommentar: Mir ist unklar, warum in dieser Arbeit die Radices nicht mal erwähnt werden. Die klinische Beobachtung zeigt ein gegenteiliges Bild. Dennoch ist diese Referenz eine Antwort darauf, den Ultraschall zu verwenden.Samarawickrama, M.B. A Study of Anatomical Variations of Median Nerve Formation and Its Relation to the Arteries in the Axilla and Arm. Int J Morphol 2017, 35, 698–704
Akhtar, M.J.; Kumar, S.; Chandan, C.B.; Kumar, B.; Sinha, R.R.; Akhtar, M.K.; Kumar, A. Variations in the Formation of the Median Nerve and Its Clinical Correlation. Maedica (Bucur) 2022, 17, 878–884. doi:10.26574/maedica.2022.17.4.878
Mat Taib, C.N.; Hassan, S.N.A.; Esa, N.; Mohd Moklas, M.A.; San, A.A. Anatomical variations of median nerve formation, distribution and possible communication with other nerves in preserved human cadavers. Folia Morphol (Warsz) 2017, 76, 38–43. doi:10.5603/FM.a2016.0045